Gefühlte Kunst


Wir müssen reden. Über Gefühle. Reden wir über Gefühle. Das Thema ist so weit wie das Meer und so tief wie die Aareschlucht in der Schweiz.

 

Gefühle entscheidend

Innert Sekunden entscheide ich darüber, ob mir ein Bild gefällt oder nicht. Schlendere ich durch eine Kunstaustellung, so bleibe ich bei den Werken hängen, welche mich emotional ansprechen. In der ganzen Ausstellung sind es meistens nur ein, maximal zwei Werke, die mich wirklich packen.

 

Ich rede darüber, wie ein Werk dich in den Bann zieht. Wie es dich verzaubert und gleichzeitig fasziniert.

 

Wenn ein Werk mich auf diese Weise anspricht, gefällt es mir auch in zehn, sogar in zwanzig Jahren noch. Ich rede hier nicht von „ich mag dieses Bild“ oder „ich mag dieses Bild nicht“. Nein, davon ist hier nicht die Rede. Ich rede darüber, wie ein Werk dich in den Bann zieht. Wie es dich verzaubert und gleichzeitig fasziniert. Beispielsweise das Werk „Crying Girl“ von Roy Lichtenstein aus dem Jahr 1963. In schwarz-weiss hängt es in meinem Wohnzimmer und löst auch heute die genau gleichen Gefühle wie damals in mir aus.  Entdeckt habe ich es in der Ausstellung „Contemporary Voices“ in Riehen im Jahr 2005, seitdem lässt es mich nicht mehr los und wurde sozusagen mein „persönliches Bild des Jahres“. Ein paar wenige schwarze Striche haben gereicht, mich emotional zu fesseln. Das nenne ich wahre Gefühle. Wahre Kunst. Aber auf eine persönliche, intime Art.

 

Das erste Bild, welches mich überhaupt gefesselt hat, war in meiner dritten oder vierten Schulklasse. Ein Schulausflug in das Kunstmuseum Basel um 1993/94.  Wir mussten uns vor einem grossen Gemälde hinsetzen und es betrachten. Je länger man es betrachtete, desto mehr Tiere kamen zum Vorschein. Ich war fasziniert. Im Museumsshop kaufte ich mir für ein oder zwei Franken eine Postkarte von diesem Gemälde. Seitdem ich acht bin, habe ich diese Karte mit dem Werk „Tierschicksale“ (1914) von Franz Marc in meiner Schublade. Bis heute mag ich die Werke von Franz Marc.

 

Und so sehe ich es, wie schon viele Menschen zuvor: Schönheit liegt im Auge des Betrachters.

 

Doch kommen wir zurück in die Gegenwart. Mein persönliches Bild des Jahres 2016 ist ein Bild von Marianne von Werefkin namens „Tragische Stimmung“ von 1910. Mir gefallen die Farben, die Komposition und die Perspektive. Auch hier ist es eher ein trauriges, düsteres Bild, wie die beiden Bilder zuvor. Ich weiss nicht, was das nun für einen Eindruck über meine Persönlichkeit hinterlässt, aber ich denke, dass extreme Situationen auch extreme Gefühle auslösen. Eine farbige Blumenwiese löst weniger intensive Gefühle aus, als das Betrachten eines erotischen Gemäldes, eines Bildes mit weinendem Kind oder einem Mord. Dies ist aber nicht für alle so, es kommt auf den Kontext drauf an.

 

Hier eine beispielshafte Geschichte: Monate, ja Jahrelang hatte der Häftling namens Paul, mit wenigen Ausnahmen, die graue Zellentür betrachten müssen und er freute sich auf morgen. Er wurde entlassen. Nachdem er seine Habseligkeiten beim Ausgang zurückbekam, sagte er dem Wärter an der Tür „tschüss“ und ging schnurstracks weg. Das Ganze wollte er weit hinter sich lassen und neu anfangen. Vor seinen Augen erstreckte sich als erstes eine farbige Blumenwiese. Er war überwältigt. Eine grüne, saftige Wiese prägte sich als Symbol der Freiheit und Leichtigkeit in ihn ein.

 

Zwei Jahre später geht Paul in ein Museum und bleibt vor einem Gemälde mit einer Blumenwiese stehen, die seine Aufmerksamkeit magisch anzieht. In genau diesem Moment, in dem er vor diesem Gemälde steht, ist er plötzlich emotional zurückversetzt und erlebt diesen Moment der ersten Freiheit nochmals. Intensive Gefühle überkommen ihn. Diese Wiese, eine einfache, alltägliche Landschaft, ist nur für Paul so intensiv und packend, nicht aber für Sarah die direkt neben ihm steht.

 

Und so sehe ich es, wie schon viele Menschen zuvor: Schönheit liegt im Auge des Betrachters.

 

Welches ist dein "Bild des Jahres 2016"?

Welches Werk löst bei dir besonders starke Gefühle aus?

 

Ich wünsche dir viel Spass beim Entdecken vom "persönlichen Bild 2017"!

 

Herzlichst, deine Lilly


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Kommentare: 1
  • #1

    Stefan (Montag, 06 Februar 2017 23:58)

    Eine Repro des Bildes "Tierschicksale" hing in Postergrösse lange in meinem Zimmer - damals "zuhause". Das Bild fasziniert mich - immer noch! - und...
    ...und das blaue Tier mit dem überlangen weiss leuchtenden Hals stört mich auch immer noch! Weshalb? Wenn ich das wüsste, hörte ich vielleicht auf, mich von "dem Tier" stören zu lassen. Vielleicht würde mich das Gemälde auch weniger faszinieren, wenn überhaupt noch. Also frage ich mich: lieber die Faszination - mit Störfaktor oder dank der Erkenntnis aus der Analyse, Ent-zaubern des gewohnten und bewährten Zustandes?
    Es wird immer emotionaler, je länger ich darüber nachdenke... Ich gebe mir die Zeit, das wirken zu lassen. Danke für Dein Anstupsen! ;)